Sauensägergeschichte
Es ist Freitag, der 12. April 2002, 18 Uhr und ich säge in aller Ruhe am Haupt
eines Keilers. Alle Erfahrungen der letzten Wochen sollen in die Gestaltung mit
einfließen. Gerade im Bereich des Unterkiefers und der Waffen versuche ich,
dass mit dem Kettensägenschwert Machbare immer genauer herauszuholen.
Plötzlich steht meine Frau neben mir. Durch Lärm und Gehörschutz hatte ich sie
nicht kommen hören. Mit einem besorgten Blick hält sie mir das Telefon hin.
Es meldet sich die Familie aus dem letzten Haus unseres Ortes. Sie beobachten
seit ca. einer Stunde ein Wildschwein am Gegenhang des Flusses. Erst hatte es
gewaltig gekracht, dann wäre eine Sau den Berg heruntergekommen. Sie versuchte
vergeblich, den Hang wieder zu erklimmen, schleppte sich dann nur mit den
Vorderläufen davon, wobei sie hinten immer wieder zusammenbrach. Man habe genau
gesehen, wie sie sich unter einem Fichtenwipfel eingeschoben hat.
Mit einem Dank und der Bitte ja nicht in die Nähe der Sau zu gehen, versprach
ich, umgehend zu kommen. Als erstes informierte ich den Nachbarrevierleiter,
denn der Gegenhang des Flusses ist schon sein Revier. Wie verabredeten uns in
einer halben Stunde an der Wegegabelung. Ich schnallte mir den großkalibrigen
Revolver um und überprüfte die geladene Trommel. Dann den Hund und das Fernglas
ins Auto und los ging es. Die Schnittschutzhosen vom Sägen behielt ich gleich
an.
Die Familie wartete schon und zeigte mir die Stelle. Es hätten noch die Äste
gewackelt als die Sau sich einschob aber seitdem ist Ruhe.
Als ich zum Treffpunkt kam war der Kollege schon da. Er hatte seine
Selbstladebüchse und die beiden scharfen Teckel dabei. Auf dem Weg oberhalb des
Fichtenwipfels sondierten wir die Lage. Meine Aufgabe war es, die drei Hunde
zum Stück zu dirigieren und nachdem sie die Sau gestellt hatten, auf kurzer
Distanz den Fangschuss anzutragen. Der Kollege hatte die Aufgabe eine weitere
Flucht der Sau im übersichtlichen Gelände zu unterbinden.
Los ging‘s, die Hund nahmen sofort die Wundfährte an und schossen auf den
Fichtenwipfel zu. Sie umkreisten ihn und suchten auf der anderen Seite die
Fortführung der Fährte.
Ich näherte mich auf ca. 10 m dem Wipfel und erkannte das Haupt des Stückes
zwischen den Ästen. Ganz flach machte es sich, um ja nicht entdeckt zu werden.
Ich rief laut, um die Hunde zum Stück zu dirigieren, als einer der Teckel
zwischen die Äste fuhr. Die Sau schoss heraus, aber anstatt wie berichtet
hinten zusammenzubrechen, orientierte sie sich sofort an ihrem größten Feind
und der war ich. Die anderen Hunde entdeckten sie nun auch und jagten ihr nach,
was die Sau aber nicht hinderte, mich sofort anzunehmen.
Ein Keiler war‘s, der furchtbar seine Waffen aufeinander schlug und
unaufhaltsam auf mich zustürzte.
In einer Vorahnung hatte ich den gespannten Revolver die ganze Zeit schon
schussbereit in der Hand. In den zwei Sekunden, die mir noch blieben, schossen
Erinnerungen durch den Kopf. Ich war jetzt genau in der Situation, von der
schon viele geschrieben und berichtet hatten. Jetzt musste ich handeln. Ich sah
die riesigen, steil aufgerichteten Teller und schoss auf den silbergrauen Fleck
zwischen den Lichtern ... !
Ob ich Kimme und Korn gesehen habe, ob ich die Waffe richtig hochgerissen
hatte, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich kann man auf zwei Meter Distanz nicht
mehr viel falsch machen.
Wie vom Blitz gefällt brach das Stück zusammen, Schweiß schoss aus dem Gebräch.
Dann waren die Hunde ran und stürzten sich darauf.
Die Situation war geklärt und Erleichterung machte sich bei allen bemerkbar.
Beim genaueren Suchen nach dem Einschuss wurde in mir wieder der „Sauen-Säger“
wach. Hatte ich doch ein wunderbares Studienobjekt vor mir liegen. Jede Rundung
und jeden Abstand versuchte ich mir einzuprägen.
Als mein Kollege heran kam, staunte er nicht schlecht. Er hatte mich beobachtet
und gedacht, ich betaste die starken Waffen eines alten Keilers. Dabei war es
nur ein strammer Überläufer.
Beim Aufbrechen fanden wir eine stark angeschwollene Blase vor. Quetschungen
vor der rechten Keule und ein Dreiangel unter der linken Keule. Vermutlich die
Folgen eines Verkehrsunfalles.
Die letzte halbe Stunde vor dem Dunkelwerden lief meine Säge wieder. Die
neuesten Erkenntnisse mussten gleich eingearbeitet werden.